Donnerstag, 3. Januar 2013

Alltag von Flugbegleitern: Ein Höllenjob



Dieser Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Kapitels aus dem Buch "Sorry, Ihr Hotel ist abgebrannt", erschienen 2011 im Ullstein-Verlag.




In Zeiten von Billigfliegern und Massenabfertigung hat der Beruf der Flugbegleiter jede Spur von Romantik verloren. 

 

 


Passagiere machen der Crew mit überzogenen Wünschen, respektlosem Benehmen und sogar Randale das Leben schwer. Ein US-Steward wehrte sich - er wurde weltberühmt.

Als im August 2010 in Steven Slater die Wut hochkocht, ahnt er noch nicht, dass er bald der berühmteste Flugbegleiter der Welt sein wird. Der 38-Jährige greift das Bordmikrofon fester und lässt seinem Frust über eine unverschämte Passagierin freien Lauf: "An alle, die mir in den letzten 20 Jahren Respekt entgegengebracht haben: Danke, es war eine tolle Zeit", ruft er durch die Kabine. "An die Passagierin, die mich 'Motherfucker' genannt hat: Fuck you!"

Dann legt Slater auf dem New Yorker John-F.-Kennedy-Flughafen einen spektakulären Abgang aus seinem Job hin: Nach einem "That's it" aktiviert er die Notrutsche am hinteren Ausgang des Jets, die in Sekundenschnelle auf die Rollbahn fällt. Noch ein lässiger Griff zum Servierwagen - und er schliddert mit Dosenbier in der Hand die Rutsche hinab.
Mit seiner Flucht geht der New Yorker in die Geschichte der Luftfahrt ein: Er wird zum Symbol des Widerstandes gegen den alltäglichen Wahnsinn über den Wolken und zum Helden aller unterdrückten Arbeitnehmer. Inzwischen werden Kündigungen mit Paukenschlag sogar als "Slatern" oder "Zieh den Slater" bezeichnet.

Binnen Stunden ging die Nachricht über den "wütenden JetBlue-Steward" um die Welt. Sein Ausbruch begeisterte vor allem seine fliegenden Kollegen. Auch Susanne Schröder*, eine deutsche Flugbegleiterin mit zehn Jahren Berufserfahrung: "Wir fanden das alle toll", schwärmt die zierliche Enddreißigerin, "jeder konnte es nachvollziehen, jeder hat so etwas erlebt, jeder hat auf Slaters Facebook-Seite 'Gefällt mir' gepostet."
Dort kommentierte eine Besucherin: "Von einem Flugbegleiter zum anderen: Du bist mein Held."


Alien an der Cockpit-Tür


Bei aller Sympathie für Slaters spektakulären Abgang wundert sich Susanne Schröder doch darüber, dass ihr Kollege bei solchen Kleinigkeiten ausgerastet ist. "Wir erleben jeden Tag viel Schlimmeres."
Überzogene Wünsche und respektloses Benehmen, sogar Pöbeleien, Belästigung und Randale - in Zeiten von Billigfliegern und Massenabfertigung machen manche Passagiere Flugbegleitern die Arbeit zur Hölle.

An die Öffentlichkeit gelangen die Fälle meist nur, wenn die Polizei einschreiten muss. Wie etwa bei den fünf Russen, die an Bord eines Ferienfliegers aus Bangkok randaliert, geraucht und die Crew bedroht hatten und statt in der Heimat in einem chinesischen Gefängnis landeten - der Pilot hatte ihretwegen einen Zwischenstopp einlegen müssen.

In einem anderen Fall begann ein 27-jähriger Ukrainer im Suff auf einem Lufthansa-Flug von São Paulo nach Frankfurt zu pöbeln. Eine Gruppe von Seemännern "kümmerte sich" um ihn - die Folge: zwei Veilchen und ein Verdacht auf Schädelbasisbruch. In den USA hielt sich ein Passagier gar für einen Außerirdischen und wollte partout den Steuerknüppel im Cockpit übernehmen. Erst mit Hilfe eines mitreisenden Rodeo-Champions konnte der "Alien" überwältigt werden.

Eines ihrer schlimmsten Erlebnisse hatte Susanne Schröder auf einem Flug in den Balkan. Bei der Schilderung der Ereignisse verzieht sie angeekelt das Gesicht: Eine Passagierin ging mit ihren drei Kindern zur Toilette, quetschte sich mit zwei der Kleinen in die Kabine und schloss ab.
Das dritte aber, das nicht weniger dringend musste, pinkelte kurzerhand auf eine Handtasche, die in der Bordküche auf dem Boden stand und einer Stewardess gehörte. Statt sich zu entschuldigen, schimpfte die Frau noch: "Ist doch Ihre eigene Schuld, wenn Sie hier nur eine Toilette haben!"


"Du brauchst dich nicht zu bedanken"


Aus unerfindlichen Gründen scheinen viele Fluggäste ihre guten Manieren am Boden zu lassen. Crew-Mitglieder beklagen, dass "bitte" und "danke" an Bord nur spärlich eingesetzt werden. Und manchmal nicht nur das. Als Schröder einem Mädchen ein Getränk reichte, bedankte die Kleine sich brav. Daraufhin ergriff die Mutter Erziehungsmaßnahmen: "Du brauchst dich nicht zu bedanken, das ist eine Dienstleistung."

Bei so manchem Passagier scheint auch mit zunehmender Flughöhe und "dünnerer Luft" das Hirn langsamer zu arbeiten. Als Susanne Schröder auf ein Klingelzeichen hin zu einem Gast eilte und fragte: "Was möchten Sie trinken?", antwortete der Mann: "Steht doch dran: Cola!" Die Flugbegleiterin wunderte sich und fragte, wo das denn dran stehe. Er deutete auf den Klingelknopf: "Das ist doch ein schwarzes Glas!"
Schlagfertig antwortete Schröder: "Und wenn Sie auf dem Klo klingeln, gibt es Milch?", denn dort ist der Knopf weiß. Auftragsgemäß servierte sie das Glas Cola, doch der Passagier beschwerte sich wieder: Er hätte doch zwei Gläser bestellt, "ich hab doch nicht umsonst zweimal geklingelt!".

Weniger harmlos kann es dann zugehen, wenn Alkohol statt Cola ins Spiel kommt. "Vor allem Männer trinken viel, um Flugangst zu betäuben", erzählt Schröder. Im Flugzeug können auch abgehärtete Crews noch "einen ganz neuen Grad an betrunkenem Wahnsinn" erleben, wie die australische Flugbegleiterin Melissa, Mitte zwanzig, in ihrem Blog beschreibt. Dazu erzählt sie von ihrem zweiten Moskau-Flug: "Als ich die
Economy-Klasse betrat, bot sich mir ein Bild, wie ich es noch auf keiner anderen Route je gesehen habe: eine Kabine voll mit Erbrochenem – auf den Sitzen, Tischen, auf den Toiletten - überall, außer in den Spucktüten."

Beim Aussteigen wankten die Passagiere wie nach einer Schlacht über die Gangway: "Wir haben einen Passagier gesehen, den sein Kumpel unter die Achselhöhlen greifen musste, um ihn hinauszutragen. Ein anderer stützte seinen fast bewusstlosen Freund, hielt ihm eine Spucktüte vors Gesicht und schleppte das Handgepäck für zwei."


Achtung, Handy-Detektor



Bei solchen Erlebnissen wundert es wenig, dass zur Ausbildung der Flugbegleiter ein Selbstverteidigungskurs gehört. Doch da die fliegende Crew oft über den berufsnotwendigen Humor verfügt, wehrt sie sich auch auf kreative Weise. So verpassten Susanne Schröder und ihre Kolleginnen einem extrem nervenden Fluggast ein einmaliges Bordmenü: Sie löffelten das Essen aus der Aluschale, legten zwei Gummibärchen hinein, falteten den Metallrand wieder sorgfältig zusammen - und genossen die Verblüffung des hungrigen Passagiers.

Auch unbelehrbaren Vielfliegern, die das Handy-Verbot nicht auf sich beziehen mochten, spielte Schröder einen Streich. Da sie auf ihrem Bluetooth-Mobiltelefon und mit Hilfe der Passagierliste erkennen konnte, wer sein Handy nicht ausgeschaltet hatte, sprach sie eines Nachts Fluggäste gezielt darauf an. Dazu schwindelte sie: "Wir testen ein neues Gerät im Cockpit - aber Sie haben Glück, noch ist es nicht zugelassen."
Die erschreckten Gesichter gaben ihr Hoffnung, dass ihre kleine Lüge pädagogische Langzeitwirkung haben würde.

"Fünfhunderttausend Meilen in einer kleinen Blechbüchse / angestrengt lächeln für die unfreundlichen Leute", hat inzwischen auch Steven Slater über seine Erfahrungen gerappt, und zwar in einem Werbevideo für eine Handy-App. Seinen Humor hatte Slater inzwischen offensichtlich wiedergefunden. Der New Yorker brachte seinen Prozess hinter sich und kam mit 10.000 Dollar Strafe glimpflich davon. Außerdem hatte er einen
Vertrag für sein erstes Buch in der Tasche. Vorläufiger Titel: "Cabin Pressure" - Kabinendruck.


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