Dieser Beitrag
ist die gekürzte Fassung eines Kapitels aus dem Buch "Sorry, Ihr
Hotel ist abgebrannt", erschienen 2011 im Ullstein-Verlag.
In Zeiten von Billigfliegern und Massenabfertigung hat der Beruf der Flugbegleiter jede Spur von Romantik verloren.
Passagiere machen
der Crew mit überzogenen Wünschen, respektlosem Benehmen und sogar Randale das
Leben schwer. Ein US-Steward wehrte sich - er wurde weltberühmt.
Als im August 2010 in Steven Slater die Wut hochkocht, ahnt er
noch nicht, dass er bald der berühmteste Flugbegleiter der Welt sein wird. Der 38-Jährige
greift das Bordmikrofon fester und lässt seinem Frust über eine unverschämte
Passagierin freien Lauf: "An alle, die mir in den letzten 20 Jahren Respekt
entgegengebracht haben: Danke, es war eine tolle Zeit", ruft er durch die
Kabine. "An die Passagierin, die mich 'Motherfucker'
genannt hat: Fuck you!"
Dann legt Slater
auf dem New Yorker John-F.-Kennedy-Flughafen einen spektakulären Abgang aus
seinem Job hin: Nach einem "That's it" aktiviert er die Notrutsche am
hinteren Ausgang des Jets, die in Sekundenschnelle auf die Rollbahn fällt. Noch
ein lässiger Griff
zum Servierwagen - und er schliddert mit Dosenbier in der Hand die Rutsche
hinab.
Mit seiner Flucht
geht der New Yorker in die Geschichte der Luftfahrt ein: Er wird zum Symbol des
Widerstandes gegen den alltäglichen Wahnsinn über den Wolken und zum Helden
aller unterdrückten Arbeitnehmer. Inzwischen werden Kündigungen mit Paukenschlag
sogar als "Slatern" oder "Zieh den Slater" bezeichnet.
Binnen Stunden
ging die Nachricht über den "wütenden JetBlue-Steward" um die Welt.
Sein Ausbruch begeisterte vor allem seine fliegenden Kollegen. Auch Susanne
Schröder*, eine deutsche Flugbegleiterin mit zehn Jahren Berufserfahrung:
"Wir fanden das alle toll", schwärmt die zierliche Enddreißigerin,
"jeder konnte es nachvollziehen, jeder hat so etwas erlebt, jeder hat auf
Slaters Facebook-Seite 'Gefällt mir' gepostet."
Dort kommentierte
eine Besucherin: "Von einem Flugbegleiter zum anderen: Du bist mein
Held."
Alien an der Cockpit-Tür
Bei aller
Sympathie für Slaters spektakulären Abgang wundert sich Susanne Schröder doch
darüber, dass ihr Kollege bei solchen Kleinigkeiten ausgerastet ist. "Wir
erleben jeden Tag viel Schlimmeres."
Überzogene
Wünsche und respektloses Benehmen, sogar Pöbeleien, Belästigung und Randale -
in Zeiten von Billigfliegern und Massenabfertigung machen manche Passagiere
Flugbegleitern die Arbeit zur Hölle.
An die
Öffentlichkeit gelangen die Fälle meist nur, wenn die Polizei einschreiten
muss. Wie etwa bei den fünf Russen, die an Bord eines Ferienfliegers aus
Bangkok randaliert, geraucht und die Crew bedroht hatten und statt in der
Heimat in einem chinesischen Gefängnis landeten - der Pilot hatte ihretwegen
einen Zwischenstopp einlegen müssen.
In einem anderen
Fall begann ein 27-jähriger Ukrainer im Suff auf einem Lufthansa-Flug von São
Paulo nach Frankfurt zu pöbeln. Eine Gruppe von Seemännern "kümmerte
sich" um ihn - die Folge: zwei Veilchen und ein Verdacht auf
Schädelbasisbruch. In den USA hielt sich ein Passagier gar für einen
Außerirdischen und wollte partout den Steuerknüppel im Cockpit übernehmen. Erst
mit Hilfe eines mitreisenden Rodeo-Champions konnte der "Alien"
überwältigt werden.
Eines ihrer
schlimmsten Erlebnisse hatte Susanne Schröder auf einem Flug in den Balkan. Bei
der Schilderung der Ereignisse verzieht sie angeekelt das Gesicht: Eine
Passagierin ging mit ihren drei Kindern zur Toilette, quetschte sich mit zwei
der Kleinen in die Kabine und schloss ab.
Das dritte aber,
das nicht weniger dringend musste, pinkelte kurzerhand auf eine Handtasche, die
in der Bordküche auf dem Boden stand und einer Stewardess gehörte. Statt sich
zu entschuldigen, schimpfte die Frau noch: "Ist doch Ihre eigene Schuld,
wenn Sie hier nur eine Toilette haben!"
"Du brauchst dich nicht zu bedanken"
Aus
unerfindlichen Gründen scheinen viele Fluggäste ihre guten Manieren am Boden zu
lassen. Crew-Mitglieder beklagen, dass "bitte" und "danke" an
Bord nur spärlich eingesetzt werden. Und manchmal nicht nur das. Als Schröder
einem Mädchen ein Getränk reichte, bedankte die Kleine sich brav. Daraufhin
ergriff die Mutter Erziehungsmaßnahmen: "Du brauchst dich nicht zu
bedanken, das ist eine Dienstleistung."
Bei so manchem
Passagier scheint auch mit zunehmender Flughöhe und "dünnerer Luft"
das Hirn langsamer zu arbeiten. Als Susanne Schröder auf ein Klingelzeichen hin
zu einem Gast eilte und fragte: "Was möchten Sie trinken?",
antwortete der Mann: "Steht doch dran: Cola!" Die Flugbegleiterin
wunderte sich und fragte, wo das denn dran stehe. Er deutete auf den
Klingelknopf: "Das ist doch ein schwarzes Glas!"
Schlagfertig
antwortete Schröder: "Und wenn Sie auf dem Klo klingeln, gibt es
Milch?", denn dort ist der Knopf weiß. Auftragsgemäß servierte sie das
Glas Cola, doch der Passagier beschwerte sich wieder: Er hätte doch zwei Gläser
bestellt, "ich hab doch nicht umsonst zweimal geklingelt!".
Weniger harmlos
kann es dann zugehen, wenn Alkohol statt Cola ins Spiel kommt. "Vor allem
Männer trinken viel, um Flugangst zu betäuben", erzählt Schröder. Im
Flugzeug können auch abgehärtete Crews noch "einen ganz neuen Grad an
betrunkenem Wahnsinn" erleben, wie die australische Flugbegleiterin
Melissa, Mitte zwanzig, in ihrem Blog beschreibt. Dazu erzählt sie von ihrem
zweiten Moskau-Flug: "Als ich die
Economy-Klasse
betrat, bot sich mir ein Bild, wie ich es noch auf keiner anderen Route je
gesehen habe: eine Kabine voll mit Erbrochenem – auf den Sitzen, Tischen, auf
den Toiletten - überall, außer in den Spucktüten."
Beim Aussteigen
wankten die Passagiere wie nach einer Schlacht über die Gangway: "Wir
haben einen Passagier gesehen, den sein Kumpel unter die Achselhöhlen greifen
musste, um ihn hinauszutragen. Ein anderer stützte seinen fast bewusstlosen
Freund, hielt ihm eine Spucktüte vors Gesicht und schleppte das Handgepäck für
zwei."
Achtung, Handy-Detektor
Bei solchen
Erlebnissen wundert es wenig, dass zur Ausbildung der Flugbegleiter ein
Selbstverteidigungskurs gehört. Doch da die fliegende Crew oft über den berufsnotwendigen
Humor verfügt, wehrt sie sich auch auf kreative Weise. So verpassten Susanne Schröder
und ihre Kolleginnen einem extrem nervenden Fluggast ein einmaliges Bordmenü:
Sie löffelten das Essen aus der Aluschale, legten zwei Gummibärchen
hinein, falteten den Metallrand wieder sorgfältig zusammen - und genossen die Verblüffung
des hungrigen Passagiers.
Auch
unbelehrbaren Vielfliegern, die das Handy-Verbot nicht auf sich beziehen
mochten, spielte Schröder einen Streich. Da sie auf ihrem Bluetooth-Mobiltelefon
und mit Hilfe der Passagierliste erkennen konnte, wer sein Handy nicht
ausgeschaltet hatte, sprach sie eines Nachts Fluggäste gezielt darauf an. Dazu
schwindelte sie: "Wir testen ein neues Gerät im Cockpit - aber Sie haben
Glück, noch ist es nicht zugelassen."
Die erschreckten
Gesichter gaben ihr Hoffnung, dass ihre kleine Lüge pädagogische
Langzeitwirkung haben würde.
"Fünfhunderttausend
Meilen in einer kleinen Blechbüchse / angestrengt lächeln für die unfreundlichen
Leute", hat inzwischen auch Steven Slater über seine Erfahrungen gerappt,
und zwar in einem Werbevideo für eine Handy-App. Seinen Humor hatte Slater
inzwischen offensichtlich wiedergefunden. Der New Yorker brachte seinen Prozess
hinter sich und kam mit 10.000 Dollar Strafe glimpflich davon. Außerdem hatte
er einen
Vertrag für sein
erstes Buch in der Tasche. Vorläufiger Titel: "Cabin Pressure" -
Kabinendruck.
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