Montag, 11. März 2013

Dominikanische Republik - Mit Hüftschwung im Friseursalon


Dominikanische Republik:

 Mit Hüftschwung im Friseursalon 

 

 Musik gehört in der Dominikanischen Republik zum Alltag. Während die Touristen stundenlang am Strand braten, tanzen die Einheimischen lieber Merengue, Bachata und Salsa - gerne auch in der Autowaschanlage. 





Es ist nicht so, dass es in Santo Domingo keine netten Wohngegenden gäbe. Es gibt sie durchaus, und dort fahren polierte Wagen mit dunklen Scheiben durch ruhige Straßen, vorbei an weißgetünchten, heruntergekühlten Supermärkten und an cremefarbenen Wohnhäusern, die Torre Stephanie oder Torre Doña Eva heißen und über die ein Ensemble aus Gittern, Mauern und Sicherheitsmännern wacht. Und dann sind da noch Viertel wie das Kleine Haiti, wie die Einheimischen ein paar Straßenzüge im Zentrum der Hauptstadt nennen. Je näher wir kommen, desto mehr neonerleuchtete Lotteriestuben prägen das Stadtbild, und immer stärker riecht die feuchte Luft nach Koriander. Schon von weitem sind die Salsarhythmen zu hören, die DJ Daniel lautstark aus den Boxen des Warenhauses Plaza Paris kratzen lässt.

In einer dieser Marktstraßen, in der sich die klapprigen Stände der Vogelzüchter und Blumenverkäufer, der Gemüse- und Potenzmittelhändler drängen, liegt der Friseursalon, in dem Wilkin arbeitet. Wilkin hat gerade Leerlauf, er sitzt auf einem Stapel grüner Plastikstühle, die sich auf dem Trottoir türmen, und lässt lässig ein Bein über die Armlehne baumeln. Die Haare trägt er dicht am Kopf zu Zöpfchen geflochten und um den Hals eine schwere Silberkette, aber er ist viel zu freundlich, als dass man ihn für einen Gangsta-Rapper halten könnte. Hinter ihm erstreckt sich ein langgezogener, schlauchförmiger Raum, manche Kunden haben Platz genommen, andere stehen herum und unterhalten sich. Am Eingang ein großer Kühlschrank mit Presidente-Bier, daneben ein futuristischer, silbergrauer Kasten, der sich auf den zweiten Blick als Jukebox entpuppt. Ein Lied fünf Pesos, drei Lieder zehn. Eine Jukebox im Friseursalon?








Papayas und Sternfrüche, Hip-Hop und Reggaeton

“Klar“, sagt Wilkin, „warum auch nicht?“ Die Jukebox spiele glücklicherweise auch dann, wenn keiner eine Münze einwerfe. Nur könne man dann eben nicht aussuchen, was gerade läuft. Zur Wahl stehen Bachata, Merengue und Salsa, auch Hip-Hop und Reggaeton. Musik, so lerne ich, während um uns herum Papayas herangekarrt und Sternfrüchte sortiert werden, gehört hier überall dazu, auch zu einem neuen Haarschnitt. Wenn er mal kurz tanzen müsse, erklärt mir Wilkin, dann lege er die Schere für einen Moment beiseite. Die Kunden, die fänden das völlig okay.



Wir werden unterbrochen von einem Durcheinander aus Schreien, Dutzende Füße wetzen über den Beton auf uns zu. Bauarbeiter sprinten auf den Flachdächern der Nachbarschaft johlend bis zur Kante, um den Tumult zu überblicken. Und dann sehen wir sie auch, die Männer, die die Straße herunterstürzen, dreißig mögen es sein, vierzig vielleicht. Zwei Minuten später kehren sie zurück, an uns vorbei, langsamer diesmal, dafür lauter. Menschen eilen herbei. Wilkin steht ohne jede Hektik auf, um sich zu erkundigen, was passiert sei, während ich im Eingang des Friseursalons Wurzeln schlage.

Kurz darauf weiß er Bescheid: „Jemand hat einen Ohrring gestohlen, sie haben den Dieb gefasst“, verkündet er unaufgeregt. Und was passiert jetzt mit ihm? „Ich schätze mal, sie haben ihm ein paar verpasst und bringen ihn zur Polizei. So was kommt vor, aber selten.“ Und dann reden wir weiter über die Arbeit und die Musik, und ich erfahre noch, dass es Kinito Méndez ist, der gerade in der Jukebox singt.





Aufspielen für den großen Diktator

Kinito Méndez, der Mann des Merengue, wie er sich nennt. Der Mann jener Musik, zu der anfangs nur die Armen tanzten. Die weiße Elite im Santo Domingo des neunzehnten Jahrhunderts geißelte sie als bäuerlich und rückständig, und als die städtische Oberschicht sich ihr um 1930 herum gerade erst zögernd zu öffnen begann, putschte sich Trujillo an die Macht. Er erwies sich als brutaler Diktator, er liebte sich selbst und die Musik. Sein Ziel bestand darin, die verschiedenen Ethnien und Regionen zu einer Nation zu einen, die sich als spanischstämmig verstand. Als Mittel dazu kam ihm der Merengue gerade recht. Er wies große Orchester an, ihn zu spielen, statt Akkordeons erklangen nun Bläser. Der Merengue war jazziger, urbaner und europäischer geworden, Trujillo ließ sich schmeichelnde Lieder schreiben und reiste mit Big Bands durchs Land.

Trujillo starb, Merengue blieb und ist der liebste Rhythmus der Dominikaner. Das war er zumindest bis vor kurzem. Im August nun war er auf dem alljährlichen Merengue-Festival in Santo Domingo nur noch ein Genre unter vielen. Wer natürlich darüber empört war, waren die Merengueros, und erst ihr Aufschrei sorgte dafür, dass Musiker wie Kinito Méndez, der Mann aus der Jukebox, schlussendlich doch noch eine Einladung erhielten. Ansonsten hielt sich der Protest in Grenzen, die Neuausrichtung kam auch nicht ganz überraschend. Seit Beginn des Sommers schon diskutieren die Zeitungen und Fernsehshows des Landes die Krise des Merengue. Ihm fehlten neue Hits, klagt man da, und ihm fehlten neue Themen.







Mädchen mit tiefen Ausschnitten, Jungen mit Muscle Shirts

Das heißt aber nicht, dass man ihm entkommen könnte. Merengue läuft im Radio und im Gemischtwarenladen, in der Diskothek und im Car Wash - wobei es sich tatsächlich um das handelt, wonach es klingt: Autowaschanlagen, allerdings mit Tanzfläche. Im D’Lujo Car Wash in Bávaro etwa, im Osten des Landes, warten ein paar Autos und Motorräder in der Nachmittagshitze auf Wasser.

Daneben ein gigantisches Dach aus Palmblättern mit einer Leinwand, auf der eine halbnackte Frau mit ihrem Hintern in die Kamera wippt. Gut hundert Leute sind da, von denen einige am Rand sitzen, vor sich eine gemeinsame Flasche Presidente-Bier. Tanzen ist Pärchensache, auch dort, wo Männer in der Überzahl sind. Ein paar Mädchen mit tiefen Ausschnitten und Jungs im Muscle Shirt drehen sich Hüfte an Hüfte auf dem Parkett, Berührungsängste haben sie nicht.

Etwas abseits an der Bar fordern die etwas älteren Gentlemen die etwas älteren Damen auf. Tanzen kann in diesem Land jeder. Zumindest erzählt man uns, dass hier jedes Neugeborene zuerst einmal geschüttelt werde, um ihm den Rhythmus einzuverleiben.



“Salsa, coño“, schreit DJ Hansel vom Mischpult aus in die Menge, „salsa, salsa, coño.“ Das Salsa-Set. Sieben Tage die Woche legt er hier auf, von vier Uhr nachmittags bis drei Uhr morgens: Merengue, Bachata, Salsa, Dembow, House. Bis zu achthundert Leute seien manchmal hier, erzählt er, nicht ohne Stolz. Um zu tanzen und nach Mädchen zu schauen. Und all das im Freien. In der Tür seiner kleinen Kabine tauchen ständig kurzberockte Mädchen auf, und alle wollen sie dasselbe von ihm: dass er „Soberbio“ spielt, jenes traurige Lied von Romeo Santos: Liebesleid und ein geläuterter Mann. Bachata eben.

 

 


 

Die schmerzensreiche Musik der Landflüchtlinge

Herzensthemen und Melancholie gehören zu diesem Genre, das die meisten Radiosender dreißig Jahre lang ignorierten. Was heute zum Mainstream gehört, begann wie der Merengue fernab der vornehmen Gegenden. Bachata war zunächst die Gitarrenmusik, die die einfachen Leute der sechziger Jahre, die Landbewohner und Landflüchtigen, in ihren Höfen und Gärten spielten.

Vielleicht sah es bei ihnen ein bisschen so aus wie bei Frank, der hundertsechzig Kilometer von der Hauptstadt entfernt in La Cruz del Isleño wohnt, eigentlich nur eine Straßenkreuzung mit einer Handvoll Häusern. Sein Garten beginnt mit einem windschiefen Drahtzaun, dann ein Baum, der Limoncillos trägt. Frank schraubt dort an seinem Motorrad herum, und eine seiner Töchter spielt mit dem Nachbarsjungen Domino. Ab und zu pflückt Frank ihnen ein paar Limoncillos vom Baum, und sie spucken die Kerne ins Gras.








Warum sind die Frauen nur so untreu?

Dann läuft ein schwermütiges Lied, eine untreue Frau, sie solle ruhig gehen. Wieder Bachata, diesmal die neue CD seines Namensvetters Frank Reyes. Das Kabel ist gerade lang genug, und so hat Frank die riesigen Boxen seiner Anlage vors Haus geschafft. Es ist zwar nicht groß, aber hübsch mit seiner maisgelben Fassade, den weißen Fensterrahmen und den sparsamen Ornamenten über der Tür. Es ist nur ein karibisches Holzhaus und doch ein Postkartenmotiv!

Frank ist mein Entzücken nicht entgangen. „In den Holzhäusern wohnen die Armen“, sagt er in einem Nebensatz, und in meinen Ohren klingt diese Bemerkung weniger bitter als vielmehr beiläufig. Ob ich mal seine Hähne sehen wolle? Er hält sie hinterm Haus, dort, wo der maisgelbe Anstrich einem fahlen Senfgelb gewichen ist. Auch etliche Küken sind darunter, aber die sind nicht wichtig. Was zählt, sind die Hähne, Kampfhähne.

Um ihre Angriffslust zu demonstrieren, nimmt er behutsam einen von ihnen aus dem Käfig und setzt ihn zu einem anderen. Sofort plustern sie sich auf, flattern und hacken mit dem spitzen Schnabel aufeinander ein, Zielrichtung Kopf. Frank trennt sie rechtzeitig.







 Das kleine Glück an der großen Kreuzung


Wenn er sonntags manchmal zum Zweikampf in die Arena geht, tragen die Hähne Sporen am Fuß. Blutig wird es immer, tödlich meistens auch. Wenn am Ende der andere Hahn der Tote ist, reicht das vielleicht für die Monatsmiete. Umgerechnet hundert Euro zahlen er und seine Frau für die drei Zimmer, die sie mit ihren drei Töchtern bewohnen und in die Frank nachts auch noch sein Motorrad stopft. Ein sichereres Auskommen bietet der Imbiss, den die Familie auf der anderen Straßenseite betreibt. Ein orangefarbenes Häuschen, zwei Tische, ein einziger Gast. Franks Frau serviert ihm gerade Frittiertes, die Bachata aus dem Garten dringt bis zu ihnen hinüber. 320 Euro werfe der Imbiss im Monat ab, sagt Frank, das sei mehr, als er früher als Anstreicher in einem großen Hotel verdiente.

Wer aber kommt in einer Gegend, die fast ausnahmslos vom Strandtourismus lebt, an einer verlassenen Kreuzung vorbei? Es seien die Zimmermädchen, Kellner und Gärtner, sagt Frank, die von Higüey aus vierzig Kilometer weit zu den großen Hotels in Punta Cana pendeln. Und diese Straße führt dorthin.








Das Mysterium der „Käsetablette“

Punta Cana, das ist genaugenommen nur ein kleines Dorf, hinter dem die Insel endet, aber weil dieser Name Palmen und Meer verheißt, schmückt sich ein ganzer Landstrich mit ihm. Heute ist Punta Cana die beliebteste Urlaubsregion des Landes. Neben zahlreichen kleineren Pensionen säumen rund vierzig große Hotels die Küste. Groß sind nicht die Gebäude, sondern die Gelände, auf denen sie stehen. Auf manchen von ihnen könnte man ein ganzes Dorf unterbringen, mitunter verkürzt eine kleine Bahn die langen Wege. Das „Royal Suites“ etwa gehört zu einer Anlage, auf der sich in der Hochsaison viertausend Urlauber verteilen, dazu kommen zweitausend Angestellte. Detailverliebter Luxus ist hier inklusive: Stets sitzt ein Butler im bepflanzten Innenhof, auf dem Himmelbett im Zimmer liegt eine Batterie verfügbarer Kopfkissen, daneben eine Badewanne mit Whirlpool-Funktion, die Handtücher zu Schwänen drapiert. Dem Anschein nach eine perfekte Welt, deren einziger Schönheitsfehler das Wort „Käsetablette“ ist, das sich in die deutsche Speisekarte geschlichen hat. Mit der Welt draußen hat das hier drinnen nichts zu tun.

Obwohl, ein bisschen schon, denn an der Poolbar läuft „Soberbio“, jene Pop-Bachata aus dem Car Wash. Die Lautsprecher sind als Steine am Wegrand getarnt, die Anlage ist diesmal nicht bis zum Anschlag aufgedreht. Romeo Santos singt so leise, dass man jedes Wort eines texanischen Touristen verstehen kann, der im aufblasbaren Schwimmreifen im Pool dümpelt und über das harte Leben zu Hause klagt. „Soberbio“ geht sogar völlig unter, als ein Urlauber immer wieder „Hello, cerveza!“ über den Tresen blökt.

Eine Polonaise zum guten Schuss

Besonders die Deutschen verlangten nach Ruhe, sagt Octavio Subervi, einer der Hotelmanager. Die Diskothek liegt dementsprechend am anderen Ende der Anlage. Salsa, Merengue und Bachata wummern in die Nacht, und weil sich nur ein paar Urlauberinnen zu tanzen trauen, halten die meisten Animateure eine Animateurin im Arm. Viele Drinks später, als wummeriger House den Paartänzen ein Ende setzt, überlassen sie den Touristen das Parkett. Nun tanzen die Gäste, ein jeder für sich. Bis der interkulturelle Kompromiss gefunden ist, dauert es noch eine Weile. Dann, der Abend ist weit fortgeschritten, erklingt ein Remix von „Don’t Worry, Be Happy“. Man einigt sich auf eine Polonaise. Und alle machen mit.

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