Dienstag, 9. April 2013

Forscher testen Fregattvögel als Frühwarnsysteme für Hurrikans


Tiere als Katastrophenschützer

 
In Mittelamerika und der Karibik steht die Hurrikan-Saison bevor. Weil technische Warnsysteme nicht immer zuverlässig sind, statten Wissenschaftler Fregattvögel mit Sendern aus. Das Experiment soll zeigen, ob die Luftakrobaten als Wirbelsturm-Frühwarnsystem taugen.

Tiere können Naturgewalten oft früher wahrnehmen als Mensch und Technik. So werden die Ziegen an den Hängen des Ätna auf Sizilien manchmal schon nervös, bevor Messgeräte eine starke vulkanische Aktivität aufzeichnen. Auf der Karibikinsel Isla Contoy im mexikanischen Yucatán prüfen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Ornithologie (Radolfzell/Baden-Württemberg) nun, ob Fregattvögel vielleicht Wirbelstürme und ihren Verlauf erspüren können.

Fregattvögel leben gern in tropischen Küstenkolonien und lassen sich leicht am Gabelschwanz und ihren langen schmalen Flügeln erkennen. Ihre winzigen Füße fast ohne Schwimmhäute und ein kaum gefettetes Gefieder lassen schon ahnen, dass Tauchen nicht zu ihren Leidenschaften gehört. Fregattvögel sind sozusagen Nichtschwimmer und alles andere als wasserfest.



 

Hochseevögel sind Luftakrobaten

Dafür sind Wissenschaften von anderen Qualitäten fasziniert: Fregattvögel sind wahre Luftakrobaten. Im rasanten Flug dicht über der Wasseroberfläche schnappen sie sich nicht nur fliegende Fische. Auch frisch geschlüpfte Meeresschildkröten am Strand oder Küken in Vogelkolonien sind vor ihren Luftangriffen nicht sicher. Artgenossen dürften Fregattvögel noch aus anderen Gründen kaum sonderlich sympathisch finden. Sie sind Piraten der Lüfte, die anderen Vögeln im Flug die frisch geangelte Beute abjagen. Daher sollen sie auch ihren Namen haben: Fregatten waren früher kleine Kriegsschiffe auf Überfall-Kurs.

Ornithologen wollen nun den Umstand nutzen, dass diese Hochseevögel perfekte Flieger sind und einen Großteil ihres Lebens in der Luft verbringen. Wie verhalten sie sich, wenn ein Hurrikan herannaht? Bekommen sie davon früher Wind als eine Messstation? Was genau machen sie dann? Und kann der Mensch dieses Verhalten beobachten – und sozusagen als tierisches Frühwarnsystem nutzen? Es sind viele Fragen auf einmal.



Um die Fähigkeiten der Fregattvögel zu testen, haben die Max-Planck-Forscher zusammen mit mexikanischen Kollegen nun sieben Tieren auf der verlassenen Karibikinsel Contoy, einem Naturschutz- und Vogelparadies, einen sogenannten Biologger angeheftet. Gleich einer Blackbox beim Flugzeug zeichnet das Gerät den Flug der Vögel über GPS und Satelliten auf. Jede Bewegung kann so erfasst werden. Noch bevor die Regenzeit und damit die Saison der Wirbelstürme im Mai/Juni beginnt, sollen weitere Fregattvögel mit einem solchen Sender ausgestattet werden, damit auch ihr Flugverhalten aufgezeichnet werden kann.





 

Verhalten prophezeit Verlauf von Hurrikans


„Damit wollen wir jetzt testen, ob Fregattvögel wirklich voraussagen können, wann ein Hurrikan oder ein anderes Naturereignis herannaht“, sagt Ornithologe Martin Wikelski, Direktor der Abteilung Tierwanderungen am Max-Planck-Institut. Denn Contoy wird ebenso wie die Nachbarinsel Isla Mujeres regelmäßig von Wirbelstürmen heimgesucht. “Wir denken und hoffen, dass die Tiere ein Naturphänomen und seinen genauen Verlauf um Stunden oder sogar um Tage vorausahnen können“, ergänzt der Wissenschaftler.

Das Gebiet für die „Testflüge“ scheint nahezu ideal. Isla Contoy ist ein rund 230 Hektar großer Nationalpark. Touristen dürfen hier nicht übernachten. Nur für Wissenschaftler gibt es einfache Quartiere zu Forschungszwecken.


Abhängigkeit vom Wind

Fregattvögel sind nicht nur hervorragende Flieger, die können auch große Entfernungen zurücklegen. „Wie alle Vögel mit großen Flügeln, hängen sie ihr ganzes Leben von den Winden ab”, sagt José Francisco Remolina, Direktor des Nationalparks Isla Contoy. „Sie haben die besondere Fähigkeit, die Luftströmungen und Temperaturen für ihren Flug auszunutzen und dabei möglichst wenig Kraft aufzuwenden. Deshalb ist der Fregattvogel ein besonders guter Indikator, wenn Wirbelstürme kommen.“

Mit Hilfe der Biologger wollen die Wissenschaftler nun verfolgen, wie sich die Fregattvögel bis in 2000 Meter Höhe tragen lassen. Außerdem erfassen sie ihre Geschwindigkeit und sie sehen, ob die Tiere mit ihren Flügeln schlagen oder nur im Wind gleiten. „Über die Datenbank Movebank können wir die Bewegungen der Vögel mit Umweltdaten verbinden und damit herausfinden, wie sich die Tiere in ihrer Umwelt entscheiden, bestimmte Dinge zu tun“, erläutert Vogelforscher Wikelski, der auch Professor für Ornithologie an der Universität Konstanz ist. „Wir können dann voraussagen, ab welcher Situation sie sich entscheiden, etwa in Richtung Golfküste zu fliegen. Vor allem aber wissen wir dann, um wie viel Zeit früher sie feststellen, dass es zu einem Naturereignis kommt.“
Mit Fregattvögeln, aber auch mit anderen Tieren, wollen die Wissenschaftler ein zusätzliches globales System des Sturm-und Katastrophenmonitorings schaffen. „Die Tiere haben Millionen Jahre Evolution hinter sich und eine Sensorik, die oft einfach besser ist als die von den Menschen geschaffene technische Sensorik“, sagt Wikelksi.


 

Auch die Tourismusindustrie profitiert

Die Naturtalente der Fregattvögel könnten nicht nur den Mexikanern nutzen. Von einem besseren Frühwarnsystem könnte auch der Fremdenverkehr in Mexiko profitieren, sagt der Vorsitzende des Vereins „Amigos de Contoy“, der deutsche Honorarkonsul Rudolf Bittorf. „Das ist auch sehr interessant und wichtig für die Tourismusindustrie. Das Projekt verspricht ein größeres Maß an Sicherheit, weil die wissenschaftlichen Messungen oft unzuverlässig sind.“ In der mexikanischen Karibik werden nun also die Bewegungen der Fregattvögel aufgezeichnet. Was machen sie, wenn ein Hurrikan naht? Wie weit fliegen sie, um ihm auszuweichen?

Nationalpark-Direktor Remolina hält die vorläufigen Ergebnisse für erfolgversprechend. „Es ist fantastisch, denn nun wissen wir bereits, dass die Vögel nicht nur von der Isla Contoy stammen. Sie machen sehr weite Flüge entlang der Küsten der Halbinsel Yucatán bis in den Golf von Mexiko.“ Und Vogelforscher Wikelski ergänzt, dass Fregattvögel schon fast bis zu den Kaimaninseln geflogen sind – und die liegen auf dem halben Weg nach Jamaika.







 

Hurrikans lassen sich nicht bestellen




Allerdings können alle entscheidenden Fragen erst dann geklärt werden, wenn wirklich ein Hurrikan kommt. Doch ob in diesem Jahr ein Wirbelsturm die Isla Contoy heimsuchen wird, ist nicht gewiss. Es ist alles vorbereitet und die Wissenschaftler warten ab. Es ist ein Experiment mit offenem Ausgang. Auf Sizilien sind „tierische Frühwarnsysteme“ schon nichts Besonderes mehr. Am Ätna haben Wissenschaftler Ziegen mit Sendern ausgestattet, um ihr Verhalten vor Explosionen und Ausbrüche des Vulkans zu studieren.
Nach Erkenntnissen der Forscher zeigen die Ziegen fünf bis sechs Stunden vor großen Vulkanereignissen auffällige Aktivitäten. „Wenn die Tiere nachts etwa Ausgasungen spüren, werden sie nervös und aktiv. Wir sehen das an den Beschleunigungen“, berichtet Forscher Wikelski. „Dann laufen sie aus Gegenden fort, in denen sie normalerweise sind. Und sie gehen dahin, wo in der Vergangenheit keine Lavaströme waren. Wenn sich alle Ziegen in Bewegung setzen, dann wissen wir: Es ist etwas passiert.“

Ab dem Jahr 2015 wollen Forscher sogar weltweit Tausende von Tieren mit dieser Sender-Methode beobachten – und zwar aus dem All. Dreh- und Angelpunkt soll dabei die Internationale Raumstation ISS werden. Das Vorhaben mit dem Namen Icarus (International Cooperation for Animal Research Using Space) wird von der Deutschen Agentur für Luft- und Raumfahrt, von der Europäischen Space Agentur und der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos gefördert.

Forschung bis hin zum Schmetterling

Die Beobachtungen der Fregattvögel in der Karibik hat dann Pilotfunktion. Mit Icarus wollen die Wissenschaftler via ISS und GPS vielen Fragen auf den Grund gehen, vor denen sie bisher kapituliert haben. Es geht vor allem um die Routen der Tiere. Denn noch ist für die Wissenschaftler unklar, wie sie wegen kontinuierlicher Umweltveränderungen und menschlicher Eingriffe ihr Wanderungsverhalten ändern – oder ändern müssen, wenn sie nicht aussterben wollen.
Ein dramatisches Beispiel für die Forscher sind die jährlich etwa 20 Milliarden Zugvögel, von denen jedes Jahr rund die Hälfte stirbt – ohne dass Wissenschaftler ihr Schicksal voraussagen oder beobachten können. Bei ihren Projekten kommt der Forschung die technologische Innovation zugute. Die ersten Sender wogen noch mehrere Kilogramm – und konnten deshalb nur an entsprechend großen und schweren Tieren befestigt werden. Mittlerweile entstanden im Icarus-Projekt Kleinstsender, die nur noch wenige Gramm wiegen. Und in Zukunft werden sie vielleicht so klein und leicht sein, dass sie von Schmetterlingen getragen werden können.




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